Gedanken
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der Menschenwürde
VERLUST DER MENSCHENWÜRDE
1961
Unsere Zeit ist erbarmungslos
und lässt in der bildenden Kunst nur ein unumstößliches
Diktat zu.
Die reale Abschrift eines Menschenkopfes kann im Atomkriegszeitalter die
jungen Maler nicht mehr interessieren, sie fühlen sich verpflichtet,
Wichtigeres zu tun. Warum sollen sie auch "Köpfe" von "Menschen"
abbilden, die doch alle am Atomkrieg schuldig sind? Die heranwachsenden
Maler haben den Glauben an Menschenwürde verloren.
Im Zeitalter der Technik erfüllt die "technische Porträtkunst",
die Fotografie, völlig ihren Zweck. Der Fotograf kann unzählige
Porträtaufnahmen in allerkürzester Zeit machen. Solche in Vielzahl
fabrizierten Fotoporträts können beliebig vergrößert
werden und passen sehr gut an die Wände eines Fernsehturmes, einer
Panzer und Zyankalifabrik oder auch in die Wohnung. In einer Wohnmaschine
im Zeitalter der Vermassung kann das Fotoporträt zusammen mit den
Errungenschaften der Zivilisation eine harmonische Einheit geben.
Wenn das Abbild eines Menschen von den Malern nicht mehr geschätzt
wird, rückt umso mehr der innere Mensch in das Blickfeld der Gestaltung.
In solchen Gestaltungen kann sich der Mensch finden, er wird zum Teilnehmer.
Ein Sinnbild vom Menschen von hohen künstlerischen Qualitäten
kann vereinzelte, begnadete Menschen beglücken und stellt die Rettung
zerbröckelnder Kulturreste dar.
Wie kann der Maler etwas Unsichtbares, wie es das Innere eines Menschen
darstellt, sichtbar machen? Vor etwa fünfzig Jahren fingen große
Meister in der Malerei an, eine Harmonielehre der Malerei zu schaffen.
Der dynamische Kontrapunkt von Farbe und Form als Kern dieses Wissens
zeigt dem Maler Kräfte auf, mit denen er metaphysisches Drängen
im Menschen malerisch gestalten kann.
Max Ackermann in:
Das verlorene Menschenbild Zur Problematik des Portraits in der Kunst
der Gegenwart, Artemis Verlag Zürich Stuttgart, 1961
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Zitat
"Ich male, was ich muß!"
Max Ackermann
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