Einordnung in die Kunstgeschichte


Max Ackermann - ein Vollender der Moderne von Rudolf Bayer

Wenn im Rückblick auf dieses Jahrhundert nach den wesentlichen Kräften der nun zu Ende gehenden "Moderne" gefragt wird, bleiben nur zwei Elementarkräfte, auf die wir uns verständigen können: die neue Geistigkeit, die in der immer weiter fortschreitenden Abstraktion bis hin zur Minimal Art ihre mannigfachen Ausprägungen formte und die Expression, der Ausdruck, der verhaftet der sichtbaren Welt immer neue Formulierungen von den Fauves bis zur PopArt und den Jungen Wilden fand.
Beiden Grundideen eigen ist die Hinwendung zu einem neuen Individualismus, der in den Akademien des 19.Jahrhunderts fast völlig weggezüchtet worden war. Nicht zu unrecht sprechen wir deshalb von "Schulen", wenn wir über das vorvergangene Jahrhundert reden.
Wenn man heute Entwicklungen mit Namen verbindet, dann sind die dort freigesetzten innovativen Kräfte meist an eine Formulierung gebunden, die "typisch", "unverwechselbar" und zeitbezogen eine Position markiert. Dabei wurde - oft zum Schrecken der Künstler - jede Abweichung vom "Markenzeichen" durch den Markt bestraft, oft haben sich Maler so ihre eigenen Ghettos gemalt, in denen sie nur beschränkt entwicklungsfähig blieben. Daß "Entwicklung" und Neugier, die Konstituenten jeder künstlerischen Tätigkeit sind, bei den Erfolgreichen erlahmten - wen wundert es.

Der rückwärts gewandte Blick mach auch deutlich, wie schmerzlich die Zäsur in der Entwicklung der Moderne in Deutschland war, wo in der Zeit des Naziregimes eine ganze Kunstszene "ausgeklinkt" wurde. So finden wir in der Jahrhundert-Namensliste aus Deutschland Künstler, die entweder vor oder nach dieser Zeit Bedeutung und Avantgarde symbolisieren. Wenige haben ihr Lebenswerk über diesen Bruch retten können. Viele Maler emigrierten, vergruben sich in ihren Studierstuben oder gingen anderen, unverdächtigen Beschäftigungen nach. Oskar Schlemmer starb 1943, Willi Baumeister arbeitete für eine Farbenfabrik, Max Ackermann lebte auf der Höri am Bodensee, wie Otto Dix und Erich Heckel das rettende Schweizer Ufer in Sichtweite.

Unter diesen ist Max Ackermann derjenige, dessen Schaffenskraft ungebrochen über sieben Jahrzehnte eine Brücke vom 19. bis zum zu Ende gehenden 20.Jahrhundert schlagen konnte. Er erhielt seine erste künstlerische Prägung in der Schule Hans von Marées, im Studium bei Franz von Stuck kam nach Stuttgart über die Erkenntnisse der Hölzel-Farblehre und den Entwicklungen des Bauhauses in ganz eigener und unverwechselbarer Bildsprache bis zu den Einflüssen des Tachismus und der Hard-Edge-Malerei, nahm in den späten Acryl-Bildern der siebziger Jahre sogar noch die Koloristik der POP-Art für eine neue Bildersequenz auf. An seinem großen, qualitativ hochstehendem Werk läßt sich ein Weg der prozessualen Adaption der Moderne ablesen, der Eigensprachlichkeit heißt.
Dabei liegen im Beginn seiner künstlerischen Äußerungen durchaus Parallelen zu den großen Zeitgenossen: auch Kandinsky erforschte die ornamentalen Reize des Jugendstils, die impressionistischen Farbklänge französischer Prägung und die expressiven Murnauer Paysagen, ehe er sich in die Metaphysik seiner gedachten Kraftfelder verabschiedete. Während jedoch bei Kandinsky ein radikaler Bruch ablesbar wird, bleibt Max Ackermann in einer "nachlesbaren" pikturalen Evolution verhaftet.
Zwar wird unter dem Einfluß von Adolf Hölzel in Stuttgart ab etwa 1925 der Primat der Komposition über die Konstruktion, des Sinnbildes über das Abbild erkannt und verwirklicht, doch entstehen gleichzeitig noch sozialkritische, veristische Zeichnungen, Pastelle und Bilder die unentschieden bis Mitte der dreißiger Jahre das Erscheinungsbild des Künstlers mitbestimmen. Ackermann bekannte sich stets zur figuralen Deszendenz seiner abstrakten Bilder; wenn er ihnen später Bildtitel wie "Überbrückte Kontinente" oder "Strahlende Pforte", "Hymne" oder "An die Freude" (in Anlehnung an Schiller/Beethoven) gab. Damit wollte er weniger auf die Imagination von Gegenständen oder Zuständen, als vielmehr auf die Korrespondenz mit diesen verweisen. Wenn in der Ausstellung der Staatsgalerie Stuttgart "Vom Klang der Bilder" ein Ackermann-Gemälde den Umschlag zierte, hat es genau mit dieser Intention zu tun: Der Maler kämpfte in seinem Werk vehement gegen die Trennung der Empfindungen und Sinne. Die Synästhesie eines E.T.A. Hoffmann ist ihm geläufig, der Farben schmecken, Töne in Farb-"Akkorden" sehen und Wärme oder Kälte im Klang der Bilder fühlen konnte. Die freudige Empfindungen auslösenden Momente der Musik, vor allem der Klassik und des Jazz, beflügelten den Maler, er sah sein eigenes Wollen bestätigt in Rhythmus, Tektonik und Klang, in Aufbau und Gestalt einer Komposition.
Seine "Hymnen an die Freude" sind ein einziges diesseitsgerichtetes Credo einer positiven - nicht positivistischen - Weltsicht. "Meine lyrische Musikalität soll machtvoll und ohne Schwankungen erklingen", lautet seine Forderung an sich selbst. In den Bildtiteln bedient sich der Maler absichtsvoll musikalischer Idiome, sie heißen "Kontrapunkte", "Hymnen", Akkorde" oder "Klangsäule". In den streng gebauten Werke Bachs oder Beethovens fand er eine wichtige Fremdbestätigung für seine Sehnsucht nach dem absoluten, dem ausgewogen harmonischen Bild. Von den "Überbrückten Kontinenten" bis zu den "Kontrapunkten" der letzten Lebensjahre spannt sich der Bogen dieser Bemühungen. Klare, oft strenge Formen werden mit lyrischen Graphismen konfrontiert, die wiederum Brückenfunktion oder Binneneindruck sind. Diese innere Harmonie der Formen und Farben, der Zusammenklang dieser beiden Urelemente malerischen Gestaltens bestimmen den Wert der Kunst Max Ackermanns. Ein so weitgehender Schritt, musikalisch-ästhetische Phänomene wie Rhythmus und Klang in das Theoriegeflecht der Hölzel'schen Farblehre zu integrieren - diese oft gelungene Synthese ist Ackermanns wichtiger Beitrag zur Moderne.
Gerade in den samtenen Pastellen, die wie Schmetterlingsflügel leicht schwebend sich vor uns entfalten, erkennen wir die Sehnsucht nach und die Gefährdung der Schönheit, die für viele Kunstinterpreten verdächtig und dekorativ ist. Max Ackermann hat diese Technik nach den Impressionisten und Adolf Hölzel zu einem neuen Gipfelpunkt geführt. Die Synergien des modifizierten Goethe-Farbkreises blühen in vergeistigten Formbauten und den farblichen Spaltklängen auf, die sich dem absoluten Bild annähern.

Willi Baumeister, der die letzten Kriegsmonate in Ackermanns Atelier verbrachte, hatte dort die Strand- und Mauerbilder gesehen, die ihn so faszinierten, daß er sie in seinem grundlegenden Werk "Das Unbekannte in der Kunst" 1947 als Beispiele gelungener Umsetzung geistig-konzeptiver Malerei reproduzierte. Und wirklich wurden in den Jahren nach dem Krieg seine Bilder prototypisch für "moderne Malerei", indem sie nicht nur geistiges Wollen sondern vor allem das Lebensgefühl einer Generation im Aufbruch visualisierten.werden. Seit diesen 50er Jahren gilt Max Ackermann als der Lyriker unter den abstrakten Malern, "seine" Farbe ist Blau, Blau als Synonym für Sehnsucht, Romantik, Sauerstoff, Wasser, Leben schlechthin. Seine "Überbrückten Kontinente" und seine "Kraftfelder" weisen auf die von ihm propagierte evolutionäre Abstraktion. 1950 erhält er den Ströher-Preis, 1957 ehrenhalber den Professorentitel, 1964 ist er Ehrengast der Villa Massimo in Rom. In dieser Zeit entsteht die heute legendäre Serie der "Rom-Pastelle", die als Gipfelpunkt der Pastellmalerei unseres Jahrhunderts schlechthin gelten.

Sieht man die Konsequenz und Unbeirrbarkeit dieses Malerlebens, wird einsichtig, daß es ihm um mehr als vielen anderen seiner Zeitgenossen um die non-verbale Vermittlung kultureller und speziell visuell-ästhetischer Phänomene ging. Da bewegt Ackermann immer wieder die Frage nach dem Eigenwert und der Individualität künstlerischen Tuns, Ausdruck findend in einem früh angelegten Stilpluralismus. Er ist ein Meister im Erkennen und Aufnehmen neuer Entwicklungen, klug abwägend, wo die Sackgassen und wo die neuen Autobahnen sind. Eigenes Erfinden steht neben dialektischen Nachvollzug anderer Avantgarde, alle Erkenntnisse dekliniert er in eine neue, eigensprachliche Malerei.
Da ist zum anderen eine tiefe Sehnsucht des Künstlers nach Heilmitteln für die Krankheiten dieser Welt, ausgedrückt früh in seinen sozialkritisch-veristischen Zeichnungen und Bildern, seinem linken politischen Engagement, das ihm bei den Nazis die innere Emigration am Bodensee einbrachte und in der Adenauer-Ära die Professur kostete und mündend in eine von der Anthroposophie geprägten Weltsicht, die ein neues Verständnis von Harmonie zwischen Mensch, Natur und Welt anstrebte und auch malend verwirklichte.
Ackermann einen Humanisten zu nennen, ist gerecht und doch zu wenig umfassend. Er begriff Kunst immer im Kontext seiner Existenz, ja als Begründung für seine Existenz. Er war deshalb ein unbedingter, mönchischer Maler, der immer Diener einer Idee blieb, dem Kunstmarkt ferner als viele und auch deshalb ein noch zu entdeckender.

Richard Hamann hat in seiner "Geschichte der Kunst. Von der altchristlichen Zeit bis zur Gegenwart", von einem 'Stuttgarter Beitrag zur Moderne' geschrieben, und damit die großen Drei Ackermann-Baumeister-Schlemmer gemeint. Daß er damit einen entscheidenden Beitrag meinte, zeigt der Kontext, in dem er Dresden mit der "Brücke", München mit dem "Blauen Reiter", Weimar und Dessau mit dem "Bauhaus" und Stuttgart mit der "Hölzel-Schule" gleichberechtigt nebeneinander stellte.

1965 schreibt Max Ackermann in sein Tagebuch: "Ich bin der letzte einer ausklingenden Epoche,... und will allen Ehre machen, mit denen ich mich generationsmäßig verbunden fühle."



http://www.max-ackermann-archiv.de
| info@max-ackermann-archiv.de

Letzte Änderung: 20.11.2002 | Copyright: Max-Ackerman-Archiv

 

Zitat

"Ich male, was ich muß!"
Max Ackermann

Drucken & PDF

Druckversion des Textes im Adobe PDF-Format.

Fotoalbum